Peacekeeping mit Gummiknüppel und Tränengas
Matthias Monroy 01.12.2009

Im italienischen Vicenza haben europäische Polizeien ein sechswöchiges
Anti-Terror-Manöver abgehalten

24 Polizeiorganisationen aus 19 Ländern der Europäischen Union haben
zum zweiten Mal an der internationalen Großübung „European Police Force
Training“ (EUPFT) teilgenommen. In Anwesenheit des
Vizegeneralkommandanten der Carabinieri, General Stefano Orlando, sowie
Vertretern der EU endete das Anti-Terror-Manöver am 5. November mit
einem  VIP-Tag (1), an dem, so eine Mitteilung der Kommandantur der
Carabinieri, Behördenvertreter und Gäste dem simulierten Einsatz gegen
Störungen der öffentlichen Ordnung und einer Stürmung eines Gebäudes
durch Sondereinsatzkräfte mit Geiselbefreiung beiwohnen konnten.

Mobilisiert waren dieses Jahr 639 Polizisten aus Österreich, Belgien,
Zypern, der Tschechischen Republik, Estland, Finnland, Frankreich,
Deutschland, Griechenland, Litauen, Malta, Holland, Polen, Portugal,
Großbritannien, Rumänien, Slowenien und Spanien. Von italienischer
Seite waren Angehörige der Carabinieri, Polizia di Stato und der
Guardia di Finanza beteiligt.

Das EUPFT fand vom von September bis November  auf dem Gelände der
„European Gendarmerie Force“ (EUROGENDFOR) in Vicenza (2) sowie dem
benachbarten  Roncá (3) statt. Kräfte der  EUROGENDFOR (4) waren
ebenfalls in die Mission integriert. In Vicenza unterhält die
EUROGENDFOR unter Leitung der italienischen Carabinieri die
Polizeiakademie  Center of Excellence for Stability Police Units (5)
(CoESPU), dessen Einrichtung auf Beschlüsse der G8-Gipfel 2002 und 2004
zurückgeht. Im CoESPU werden unter anderem Führungskräfte von Armeen
afrikanischer Länder in Aufstandsbekämpfung unterrichtet. Gegenüber der
Öffentlichkeit betont die Europäische Union, dass die Polizeimissionen
Teil einer zunehmenden „zivilen Konfliktlösungstrategie“ seien.

Der  Aufbau (6) der EUROGENDFOR geht auf eine Initiative der damaligen
französischen Verteidigungsministerin Alliot-Marie von 2003 zurück. Die
Truppe soll  kurzfristig bis zu 3.000 Kräfte für den Einsatz in
„Drittstaaten“ mobilisieren, um  unter militärischem Kommando
Polizeiaufgaben zu übernehmen, darunter die „Sicherung der öffentlichen
Ordnung“, „Schutz von Eigentum“ oder „geheimdienstliche Tätigkeiten“.
An der  EUROGENDFOR können laut Statut nur jene Länder teilnehmen, die
paramilitärische Polizeien unterhalten, die dem
Verteidigungsministerium unterstehen. Bisherige Träger sind Portugal,
Holland, Spanien, Italien, Frankreich, Polen und Rumänien.

Laut der  deutschen Bundespolizei (7) wurde auf dem ersten EUPFT 2008
im französischen Saint-Astier der „Schutz von öffentlichen Gebäuden und
Personen“, die „Evakuierung von EU-Bürgern“, „Bekämpfung von
Menschenhandel“, „Schutz einer Sportveranstaltung“, „EU-Staatsbesuch“
sowie die „Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“
geübt. Als Zweck des Trainings 2009, das in drei Blöcken über jeweils
zwei Wochen abgewickelt wurde, wird unter anderem die „Perfektionierung
gemeinschaftlicher Vorgehensweisen“ verschiedener Polizeiorganisationen
angegeben, was auch den Zielen der EUROGENDFOR entspricht. Daraus wird
deutlich, dass ein gemeinsamer „Anti-Terror-Einsatz“ nicht auf Staaten
außerhalb der EU beschränkt sein muss, sondern etwa auch „polizeiliche
Großlagen“ innerhalb der Binnengrenzen umfassen kann – was auch nach
den Statuten der EUROGENDFOR nicht ausgeschlossen ist.

Die Übungen EUPFT 2008 und 2009 lassen darauf schließen, dass sowohl
die Ausrichtung als auch die Praxis der EUROGENDFOR einer Veränderung
unterliegt und auf alle Mitgliedsstaaten der EU ausgeweitet werden
soll. Die Übungen sind zudem eingebettet in die Europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik, was zuletzt durch einen
Ratsbeschluss der EU vom 17. November (8) bekräftigt wurde.

Inszeniert wurden  Szenarien im fiktiven Dorf Spolarni (9) eines
„Ambrien“, wo sich die „transnationalen Peacekeeping-Kräfte“ nach einem
Bürgerkrieg den „Ethnien“ der „Ambriner“ und der „Askalos“ in einer
„instabilen Lage“ gegenübersehen. Unter Leitung von General Silvio
Caselli bezogen die Truppen ihr Hauptquartier in der Kaserne Chinotto
in Vicenza. Alle Aktivitäten fanden im Umland von Vicenza statt,
darunter den Ruinen des ehemaligen Stützpunktes der Luftwaffe in Roncá.
Das  Drehbuch (10), das filmreife Kulissen mit Dutzenden brennender
Autos, militanter Demonstranten, Geiselnahmen und Bombenanschlägen
vorsah, wurde von 15 Polizisten unter der Regie des Oberleutnants
Leonardo Albesi vom 7. Regiment der Carabinieri in Laives
zusammengestellt. Nach Ende der Übung verschwand Albesi wieder nach
Afghanistan.

Berichte von Bewohnern (11) dokumentieren, dass es rund um Vicenza
tatsächlich 6 Wochen lang zuging wie im Rollenspiel von
Wehrsportgruppen. Männer mit Sturmhauben, die mit offenen Wagentüren
gepanzerter Gefährte schwer bewaffnet unter Leitung der Carabinieri
durch die Stadt und Region patrouillierten und jegliche Nachfragen zum
Grund ihrer Anwesenheit zurückwiesen. Unter anderem gaben die von
starker Bewunderung geprägten Fernsehberichte von  ANSA (12) oder  Sky
(13) Aufschluss über den eigentlichen Zweck der Übung, die viele
Bewohner zunächst für einen realen internationalen Anti-Terror-Einsatz
hielten. Immerhin hatte sich daraufhin eine kleine Gruppe aus Vicenza
mit Transparenten auf den Weg zur Kaserne gemacht, um gegen die
polizeiliche Komponente militärischer EU-Einsätze zu  demonstrieren
(14). Wegen „unerlaubter Demonstration“ wurden sie kurzerhand überprüft
und erhielten eine Anzeige.

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